Israel hat den Schlüssel zum Frieden

Von Stefan Kerl · · 2002/05

Ihre Anwaltspraxis in Jerusalem hat die Jüdin Felicia Langer 1990 geschlossen. Seitdem streitet sie weiter für einen palästinensischen Staat und einen gerechten Frieden in Nahost. SÜDWIND-Mitarbeiter Stefan Kerl und Manuela Tesak haben sie bei einer Veranstaltung in Innsbruck besucht.

Mit Siedlungen wird es keinen Frieden geben, das habe ich schon 1993 gesagt, als ich so einsam dastand nach dem Oslo-Abkommen. Alle haben gejubelt, doch ich wusste, das kann und wird nicht funktionieren“, zieht Felicia Langer heute Bilanz. Diese Einsamkeit begleitete sie Zeit ihres Lebens: vor allem innerhalb Israels und der jüdischen Gemeinden wurde sie abgelehnt und angefeindet. Schon während ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin in Israel für die PalästinenserInnen wurde Langer Opfer verbaler und tätlicher Übergriffe. Heute, in Deutschland, wird sie von den jüdischen Gemeinden angegriffen.
Warum es überhaupt zum Osloer Abkommen kam? „Weil Israel 1993 stark genug und die PLO schwach war, so schwach, dass sie unser Partner werden konnte“, zitiert Langer den israelischen Außenminister Peres. Wie die palästinensische Führung aber dieses Abkommen ohne Klausel gegen Siedlungen, ohne Klausel gegen Landbeschlagnahmung unterschreiben konnte, ist ihr bis heute ein Rätsel: „Eine Schande, so etwas zu unterschreiben!“
Langer sollte Recht behalten. 1991 gab es 92.000 SiedlerInnen in den besetzten Gebieten, nach den langen Jahren der Verhandlungen sind es heute 200.000.
Unermüdlich beschreibt sie die Komplexität der Besatzung, erklärt die Geographie der Osloer Abkommen, der Zonen A, B und C. Dabei handelte es sich nie um Autonomie, viel eher um einen „Schweizer Käse“: Das so genannte Autonomiegebiet ist durchlöchert und zerschnitten durch Siedlungen und Umfahrungsstraßen, die allein israelischen Siedlern vorbehalten sind.
Sie erzählt auch von der täglichen Erniedrigung durch die Besatzung, von den Kindern, die an Checkpoints geboren werden, von Menschen, die sterben, weil sie nicht ins Krankenhaus gelangen können.

Das Fass der Enttäuschung und Frustration war daher voll an diesem 28. September 2000, dem Tag der berüchtigten Visite Sharons am Tempelberg. Es brauchte nur mehr diesen letzten Tropfen, den Funken, um die Situation zum explodieren zu bringen und diesen Tag zum Beginn einer neuen Intifada (Aufstand) zu machen. „Der Aufstand entspricht dem Völkerrecht. Terror nein, aber ein Aufstand gegen Besatzung ist legitim; ein Volk unter Besatzung hat das Recht, als letztes Mittel sich zu wehren.“
Zeit ihres Lebens kämpft Langer gegen die einseitige Berichterstattung der Medien, die die Intifada oft als Krieg zwischen zwei Völkern darstellen. „Wenn Sie über Gewalt reden hören oder über zwei Seiten, das ist doch lächerlich! Welche zwei Seiten sind das? Israel ist die fünftgrößte Militärmacht der Welt, und auf der anderen Seite stehen die Habenichtse!“
„Natürlich“, räumt sie ein, „die basteln verschiedene Waffen, sie töten, und das ist schade, jeder Toter ist einer zu viel. Aber dazu haben wir sie gebracht.“

Israel pflastert den Weg für die Terroranschläge, wird sie nicht müde zu betonen. Was aber ist los mit den palästinensischen Menschen, dass sie bereit sind, bei Selbstmordanschlägen zu sterben? „Das Problem der neuen Beziehung der Palästinenser zum Tod kann nur gelöst werden, wenn man ihnen die Pforte zum Leben öffnet“, zitiert sie den palästinensischen Dichter Mahmoud Darwish, und fügt hinzu: „Diese Pforte haben wir ihnen geschlossen.“
„Panzer, F-16-Flugzeuge mit Raketen, mit Bomben, Apache-Hubschrauber: alles gegen Zivilisten. Die ganze kolossale Macht gegen ein Volk unter Besatzung. Das ist eine Schule, ein Laboratorium für Terror.“
Immer wieder prangert Langer die Zerstörung der Infrastruktur, die Verhinderung von Entwicklung durch die israelischen Besatzer an. In den letzten eineinhalb Jahren wurde von der Europäischen Union finanzierte Infrastruktur im Wert von fast 30 Millionen Euro zerstört: „Wissen Sie, wie das funktioniert? Das ist interessant: Die amerikanischen Steuerzahler bezahlen die Waffen, die F-16, die Raketen, die Bomben, um das, was die Steuerzahler von Europa zahlen, zu zerstören. So ist die Zusammenarbeit zwischen Amerika und Europa.“

Ebenso schonungslos wie die Osloer Abkommen und ihre Auswirkungen analysiert sie die US-amerikanischen Friedensinitiativen heute: „Als Bush Afghanistan bombardieren ließ, sprach er von seiner Vision eines palästinensischen Staates. Dann hat er wieder darauf vergessen. Jetzt hat er wieder eine Vision: er will auch den Irak angreifen.“ Diesen Visionen stellt sie eine andere entgegen, die einzige Vision, die wirklich Frieden bringen kann: „Zwei Staaten für zwei Völker, ein palästinensischer Staat neben Israel, als Nachbarstaat von Israel, und Israel als Teil von Nahost. Nicht als Herrscher, nicht als Diktator und nicht als Arm der USA in Nahost.“
Die Dinge genau zu nehmen war immer wichtig in ihrem Anwaltsberuf, deshalb betont sie auch ständig, dass sie nicht nur über Palästina und für die Palästinenser spricht, sondern auch über Israel und für die Israelis. Immer wieder weist Langer darauf hin, dass eine Politik der Unterwerfung die übermächtige Gesellschaft selbst beschädigt: physisch durch den Blutzoll der Soldaten und der zivilen Opfer, psychisch durch eine Erosion der Moral. Deshalb ist für sie ein entsprechender Druck auf Israel eine pro-israelische, pro-menschliche Handlung, die ein Imperativ für alle sein sollte.

„Aber soll dieser Druck wirklich aus Deutschland und Österreich kommen? – Sollten wir aufgrund unserer Vergangenheit nicht tausend Jahre schweigen, bevor wir Stellung beziehen?“, wird sie bei Veranstaltungen, bei Interviews immer wieder gefragt.
Und ihre Antwort kommt jedes Mal prompt und bestimmt: „Gerade Deutsche und Österreicher müssen ihre Verantwortung, die aufgrund ihrer Vergangenheit doppelt und dreifach wiegt, ganz entschieden wahrnehmen. Wer behauptet, dass man die Menschenrechtsverletzungen Israels nicht anprangern dürfe – was die Menschenrechtsorganisationen in Israel und in der Welt schon seit Jahren tun –, weil das Antisemitismus sei, der lügt wissentlich, frech und erpresserisch, um die Stimme der Kritik zum Schweigen zu bringen.“
Die Einmischung auch und vor allem aus Europa, und damit sind auch Deutschland und Österreich gemeint, ist eine Forderung und Bitte der Friedensbewegung in Israel. „Freundschaft mit Israel, ja, aber eine kritische Freundschaft, andernfalls ist sie ein Betrug.“

Ein wesentliches Anliegen ist es Langer auch immer wieder zu erklären, dass die Situation im Nahen Osten gar nicht so kompliziert und aussichtslos ist, dass die Lösung ganz einfach wäre: „Wir haben den Schlüssel zum Frieden. Räumung der Gebiete, dann kann es Frieden geben. In 24 Stunden ist das zu machen.“
Mit ihrer Vision vom Abzug der israelischen Besatzungstruppen und einem gerechten Frieden mit einem palästinensischen Staat, der diesen Namen auch verdient, ist Langer nicht mehr allein. Die israelische Friedensbewegung wächst täglich, ebenso wie die Liste der Reservisten, die den Dienst in den besetzten Gebieten verweigern (Mitte April knapp über 400). Die Unterstützung für Sharon ist innerhalb von zwei Monaten von 70% auf 42% gefallen. Dies gibt Langer Mut, und selbst in Zeiten der schlimmsten israelischen Militäraktionen lässt sie sich nicht von ihrer Vision abbringen: „Ein lebensfähiger palästinensischer Staat wird zustande kommen. Ich will das erleben. Inschallah, ich hoffe!“


Felicia Langer wurde in Polen 1930 als Kind jüdischer Eltern geboren. Beim Einmarsch der Deutschen flüchtete die Familie in die Sowjetunion. 1950 zog Langer mit ihrem Mann Mieciu, der fünf Konzentrationslager überlebt hatte, nach Israel. Dort studierte sie Jus und eröffnete Mitte der 60er Jahre ihre eigene Anwaltspraxis.
Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 war Langer schockiert vom israelischen Regime in den besetzten Gebieten und begann, sich für palästinensische Opfer von Menschenrechtsverletzungen einzusetzen. Ein Kollege meinte, dass kein Anwalt die Militärgerichtshöfe mehr als drei Jahre aushält: Langer hielt über 20 Jahre durch. Erst im Jahre 1990, im dritten Jahr der ersten Intifada, schloss sie ihre Kanzlei in Jerusalem und zog nach Deutschland. Seitdem kämpft sie weiter für einen gerechten Frieden in Nahost und für die Rechte der PalästinenserInnen.
Felicia Langers Engagement wurde 1990 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet, 1991 erhielt sie in Wien den Bruno Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte.

Auf Deutsch sind folgende Bücher von ihr erhältlich (alle im Lamuv Verlag Göttingen erschienen):

Brücke der Träume. Eine Israelin geht nach Deutschland. 1994, 222 Seiten, 1 15,40.
Wo Hass keine Grenzen kennt. Eine Anklageschrift. 208 Seiten, 1 15,40.
Zorn und Hoffnung. Autobiographie. 1999, 453 Seiten, 1 12,80.
Lasst uns wie Menschen leben! Schein und Wirklichkeit in Palästina. 1999, 205 Seiten, 1 10,20
Miecius später Bericht. Eine Jugend zwischen Ghetto und Theresienstadt. 2001, 139 Seiten, 1 8,70.
Quo vadis Israel? Die neue Intifada der Palästinenser. 2001, 173 Seiten, 1 10,20.

Stefan Kerl ist Mitarbeiter im Bundesbüro der Südwind Agentur in Wien und schreibt gerade an seiner Diplomarbeit über die EU-Entwicklungszusammenarbeit mit Palästina. Manuela Tesak studiert Soziologie und Geschichte in Wien.

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen